Die Fallstudie Kurmainz wird von einem dreiköpfigen Team am Arbeitsbereich Neuere Geschichte des Historischen Seminars der Johannes Gutenberg-Universität Mainz bearbeitet.
Die Fallstudie nähert sich der komplexen Raumstruktur des Alten Reiches über einen (kollektiv-)biographischen Ansatz. Untersucht werden hier Mobilität und multiple Zugehörigkeiten kurmainzischer Funktionsträger. „Mobilität“ wird dabei maßgeblich als „biographische Mobilität“ verstanden, die sich auf unterschiedliche Verortungen von Personen in verschiedenen Lebensphasen hinweg bezieht und etwa von Formen der alltäglichen Mobilität abzugrenzen ist. Im Fokus der Fallstudie stehen also v.a. ortsbezogene Aspekte biographischer Praktiken potenziell mobiler Akteure und was sie über räumliche Strukturen und Grenzvorstellungen aussagen. Gefragt wird etwa nach Karrieremustern und Zusammenhängen zwischen biographischen Verortungen und (gleich- sowie ungleichzeitigen) Zugehörigkeiten zu verschiedenen politischen, rechtlichen und sozialen Kreisen, ferner zu Faktoren wie sozialer und geographischer Herkunft und Ausbildung.
Der besondere Reiz des kurmainzischen Fallbeispiels besteht nicht zuletzt auch in den zugleich typischen als auch einzigartigen Rahmenbedingungen, die es bietet: Als vornehmster Kurfürst und Reichserzkanzler verbanden die Mainzer Herrscher die regionale, territoriale und Reichsebene ideell und materiell so eng miteinander wie kein anderes Territorium. Es stellt sich die Frage, ob und, wenn ja, wie sich diese Verbindung auch in den biographischen Verortungen seiner Funktionsträger widerspiegelte. Eine andere Frage rekurriert auf das Typische des Mainzer Beispiels, nämlich seine Manifestation als besonders fragmentierter Herrschaftsraum; Kurmainz war geradezu der Prototyp des viel gescholtenen „Flickenteppichs“. Hier drängt sich nicht zuletzt die Frage auf, inwieweit bestimmte Räume durch freiwillige und – etwa in Form einer „kurfürstlichen Personalpolitik“ – gesteuerte Mobilität bewusst oder unbewusst (des-)integriert wurden.
Die besondere Herausforderung des kurmainzischen Fallbeispiels besteht nicht zuletzt in der Erschließung und Sammlung der relevanten biographischen Daten aus heterogenen Quellen: Die archivalische Überlieferung ist infolge der Auflösung des Kurfürstentums 1803 regional stark zersplittert, Vorarbeiten sind aus diesem Grunde nur in recht überschaubarer Zahl verfügbar. Noch dazu stellt die Verfolgung individueller Lebenswege über (kurmainzische) Grenzen hinweg eine besondere Schwierigkeit dar.