Fallstudie Kursachsen

Das Arbeitspaket der Fallstudie Kursachsen widmet sich der explorativen Erschließung und Zusammenführung ortsbezogener historischer Informationen und erprobt Methoden der Datenmodellierung und Visualisierung. Dabei soll die Pluralität, Überlagerung und Konkurrenz verschiedener politischer, rechtlicher, wirtschaftlicher und sozialer Räume im frühmodernen Alten Reich untersucht und dargestellt werden. Neben dem Versuch, Raum als multipolares Beziehungsgeflecht ausgehend von ortsgebundenen Rechten, Ansprüchen und Zugehörigkeiten zu denken, stellt der Umgang mit der heterogenen Datenbasis aus verschiedenen Quellen die zentrale Herausforderung des Arbeitspakets dar. Besondere Aufmerksamkeit gilt inkonsistenten, unvollständigen, unsicheren oder widersprüchlichen Daten, wie sie für Quellen zur frühneuzeitlichen Raumgeschichte typisch sind. Inkonsistenz und Widersprüchlichkeit werden nicht als Abweichungen vom vermeintlichen Ideal der Homogenität verstanden, sondern als Ausdruck einer raumschaffenden sozialen Praxis, für die Vielfalt, Konkurrenz und Verflechtung konstitutiv waren. Die Frage, wie solche Daten zu modellieren sind und wie sie sich, nicht nur in der Form von Karten, visualisieren lassen, steht im Mittelpunkt der Arbeit, die auf die Kooperation von Geschichtswissenschaft, Kartographie und Geoinformationswissenschaft angewiesen ist.

Zwei Beispielregionen wurden für die Arbeit ausgewählt: zum einen die Gegend um Meißen, die mit den Besitzungen des Landesherrn und denen des ehemaligen Domstifts eine besondere Kleinteiligkeit in der lokalen Verteilung von Rechten und Zugehörigkeiten aufwies, und zum anderen die Schönburger Herrschaften, die Reichslehen (in der Form böhmischer Afterlehen) und sächsische Lehen umfassten und zwischen der Grafenfamilie und dem sächsischen Kurfürsten umstritten waren. In beiden Regionen geht es darum, Rechte, Privilegien und andere Ansprüche, die nicht auf dem Raum lagen, sondern örtlich verankert waren, zu erheben und auf ihr raumkonstituierendes Potential hin zu befragen. Besonderer Aufmerksamkeit wird dabei der Frage zukommen, was überhaupt ein „Ort“ im Sinne unseres Projekts war. Als Quellen dienen in erster Linie Landesbeschreibungen und andere topographisch-statistische Werke, wie sie umfangreicher erst ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vorliegen. Das Arbeitspaket geht deshalb von der Situation am Ende des Alten Reichs aus, für die ebenfalls kartographische Vorarbeiten existieren, die in die Untersuchung einbezogen werden. Ein zweiter Zeitschnitt Mitte des 16. Jahrhunderts soll den historischen Wandel veranschaulichen. Für diese Epoche steht mit den digital aufbereiteten kursächsischen Amtserbbüchern eine aussagekräftige Quelle zur Verfügung. Ergänzend herangezogen werden weitere Datenbanken mit ortsbezogenen historischen Informationen wie das „Historische Ortsverzeichnis von Sachsen“. Als dritte Quellengattung sollen schließlich historische Karten genutzt werden, die Rückschlüsse darauf zulassen, was die zeitgenössischen Akteure selbst als relevant für die Raumstrukturierung ansahen.